<videovortex> Against Cinema (René Vienet)

pirate cinema berlin sebastian at rolux.org
Fri Oct 5 12:22:56 CEST 2007


                                                          Sunday,  
October 7, 7 pm
                                                             Pirate  
Cinema Berlin
                                                           Tucholskystr  
6, 2nd fl

                                                                    
Against Cinema
                                                                          
   Part 1
                                                                       
René Vienet

                     7:30 pm: La dialectique peut-elle casser des  
briques? (1973)
                                             9:00 pm: Les filles de  
Kamare (1974)
            10:30 pm: Chinois, encore un effort pour être  
révolutionnaires (1977)

                Chinesisch und Japanisch mit englisch untertitelten  
französischen
              Untertiteln bzw. Englisch und Chinesisch mit englischen  
Untertiteln
                                                                  281  
min, 2.3 GB

                                                                        
Free entry
                                                                      
Cheap drinks
                                                                      
Copies to go

------------------------------------------------------------------------ 
--------

Gegen das Kino, weil für das Kino, sei es als lokale Schule, als  
nationale
Kraftanstrengung oder als globale Geld- und Glücksmaschine, ja schon  
alle
anderen sind <1>; und René Vienet, weil es in der Geschichte des Kinos  
kaum ein
anderes gibt, das aus dieser Geschichte der Bildungsanstalten,  
Staatsapparate
und Traumfabriken derart weit herausfiele, ohne doch wieder bloss als  
kritisch-
individualistisch-autorenfilmerische Ausnahmeerscheinung die  
Spielregeln des
Kinos zu bestätigen. (Was Vienet, statt Kino, vorschlägt <2>, lässt sich
vielmehr leicht generalisieren, kopieren und weiterführen.)

"Can Dialectics Break Bricks?" <3> und "The Girls of Kamare" <4>  
bleiben die
beiden unangefochtenen Klassiker des "Pirate Cinema", des  
zweckentfremdenden und
zugleich urheberrechtsverletzenden Films, und "The Girls of Kamare" der  
eine,
der, wenn wir, was ab und zu vorkommt, an einem Ort ohne Pirate Cinema  
erklären
sollen, was Pirate Cinema wäre, diesen Zweck bis heute am besten  
erfüllt.
Bezüglich der "Girls of Kamare" können wir an dieser Stelle auch den  
zweiten
unserer beiden Irrtümer aus Season One korrigieren: Der von René Vienet  
neu
untertitelte Film von Norifumi Suzuki heisst im Original "Kyôfu  
joshikôkô: bôkô
rinchi kyôshitsu" - a.k.a. "Terrifying Girls' High School: Lynch Law  
Classroom"
- und ein paar Suzuki-Downloads später ist auch uns klar geworden, dass  
Vienets
historische Leistung nicht allein in der zugleich falschen wie richtigen
Übersetzung besteht, sondern ebenso in der Entdeckung und Distribution  
eines
Werks, das auch ohne korrigierende Eingriffe bereits Ideologiekritik im
situationistischen Sinne betreibt und dabei an Explicitness kaum etwas  
zu
wünschen übrig lässt. (Während politische Filmemacher in Japan nach  
1968 im
Genre der Pornographie untertauchen konnten, hätte wohl jeder einzelne  
von
Suzukis Filmen in der BRD der 70er Jahre ein sofortiges Berufsverbot  
nach sich
gezogen.)

Die eigentliche Attraktion aber, am Sonntag, ist Vienets dritter Film,  
"People
of China, yet another effort to become revolutionaries", der das  
Prinzip des
Détournements auf das - nur vordergründig unverfänglichere - Format des
politischen Dokumentarfilms überträgt, und der die letzten 30 Jahre  
über mehr
oder weniger verschollen war, bis er uns in der vergangenen Woche aus  
einer
Quelle, die ungenannt bleiben wird, zugespielt wurde. (Als der Film im  
Oktober
1977 in zwei Kinos im Quartier Latin laufen sollte, verübten Pariser  
Maoisten
Farbbeutelanschläge auf die beiden Vorführorte, und als er im  
vergangenen Jahr
für einen Arte-Themenabend anlässlich Maos 30. Todestages vorgeschlagen  
wurde,
weigerte sich nicht bloss Arte, ihn überhaupt anzusehen, sondern verlor  
die
Produktionsfirma sicherheitshalber gleich die letzte Kopie.)

Dass man an China, dem Reich der verführerischen <5> Prinzessinnen <6>  
und
hemmungslos <7> gefrässigen <8> Drachen <9>, auf Dauer nicht  
vorbeikommt, hat
sich in Europa mittlerweile herumgesprochen; und auch wenn sich unter  
unserem
Publikum nur wenige Geistige Eigentümer von Regierungsgeheimnissen,  
Autofabriken
oder Magnetschwebebahnen befinden dürften, sollte doch der Hinweis auf  
die
chinesische Jahresproduktion von mittlerweile einer Million  
Kunststudenten
ausreichen, um den Ernst der Lage zu verdeutlichen. Interesse an China  
ist also
vorhanden; ein Interesse jedoch, das von historischem oder politischem  
Wissen
weitgehend ungetrübt ist. ("Man kommt nach China mit tausend dringenden  
Fragen:
Welche Form hat die weibliche Sexualität dort angenommen, welche die  
Moral? Wir
schütteln den Baum der Erkenntnis, von dem die Antwort fallen möge...  
doch
nichts fällt." - Roland Barthes in Le Monde vom 24. Mai 1974, zitiert  
nach Les
filles de Kamare, Min. 21)

Dass die Filme der Situationisten im Allgemeinen - und die  
Détournements René
Vienets im Besonderen - heute ein objektiveres Bild von der Geschichte  
Chinas im
20. Jahrhundert zeichnen als die Märchenerzählungen der europäischen  
Staats- und
Kulturmedien, hat den einfachen Grund, dass die Situationistische  
Internationale
unter den revolutionären Organisationen im Europa der Nachkriegszeit  
beinahe die
einzige war, die sich in der Traditionslinie nicht etwa erfolgreicher,  
sondern
gescheiterter Revolutionen sah - im Falle Chinas der von 1927 - und  
daher
weder strategisches noch taktisches Interesse daran hatte, von der  
Kritik der
spektakulären Warenökonomie ausgerechnet jene Form, die diese in den  
sogenannten
sozialistischen Staaten angenommen hatte, auszunehmen. Was einen  
Erkenntnis- und
Wissensvorsprung zum Ergebnis hatte, der für jene Gruppen, für die 1968  
der
Beginn einer weiteren Erfolgsgeschichte werden sollte, nie mehr  
aufzuholen war.
(Von "Arschlöchern wie Sartre" - Chinois, encore un effort..., Min. 17  
- ganz zu
schweigen.)

Wenn China bis heute ein Märchenland geblieben ist, dann nämlich nicht  
allein
als Folge postkolonialer Gedächtnislücken, antikommunistischer  
Propaganda oder
exportweltmeisterlicher Ignoranz, sondern vor allem als Resultat des in  
den
späten 60er Jahren beginnenden Siegeszugs des Maoismus in Westeuropa.  
Während es
in Deutschland bis Ende der 90er Jahre dauern sollte, bis der lange  
Marsch der
Maoisten sein Ziel - Bundesministerien und Parlamentspräsidien -  
erreicht hatte,
gelang der grosse Sprung nach vorn in Frankreich deutlich früher: Dort
verstopften die maoistischen Kulturrevolutionäre bereits in den 70er  
Jahren
weite Teile der staatlichen Bürokratie. Um noch nach Maos Tod, und noch  
zu
Zeiten, in denen Maos Erbe - der "Lange Marsch", der "Grosse Sprung  
nach vorn"
und die "Kulturrevolution" - selbst in China längst nur noch die  
Schrecken
eines jahrzehntelangen Bürgerkriegs evozierte, an einem Bild von China  
- und
dessen bizarrer Rückprojektion auf Europa - festzuhalten, in dem eine  
jede
politische Katastrophe nur eine weitere Etappe einer nicht enden  
wollenden
Fortschrittsgeschichte darstellte und selbst die Machtkämpfe an der  
chinesischen
Staats- und Parteispitze noch einer vermeintlich revolutionären Logik  
folgten.
René Vienet hat vor einem Jahr noch einmal einen längeren Text  
veröffentlicht
<10>, der den Maoismus von 1976 - und den Skandal, den ein Film wie  
"Chinois,
encore un effort..." auslösen musste - ziemlich detailgenau  
rekonstruiert.
(Hinzuzufügen bleibt, dass die Wendung, die die chinesische Geschichte  
nach 1976
genommen hat - und die dem Westen eine ganze Reihe weiterer Rätsel  
aufgibt -
keine allzu glückliche gewesen ist: Was für eine - von jährlich  
tausenden von
Arbeiteraufständen unbeirrte - letzte Anstrengung zur Revolution das  
chinesische
Volk derzeit unternimmt, würde man sich auch lieber von René Vienet  
erläutern
lassen als immer nur von Le Monde diplomatique oder vom Spiegel.)

Wessen Gesamtwerk Sie als zweiten Teil von "Against Cinema" zu sehen  
bekommen
werden, können Sie möglicherweise bereits erraten. (Und wer das Ende  
der zweiten
Saison von Pirate Cinema noch nicht kommen sieht, sei hiermit zumindest  
schon
einmal so beiläufig wie möglich gewarnt: Kommen Sie nicht zu spät!)

  <1>  
http://newfilmkritik.de/archiv/2007-09/ganz-grundsatzlich-letztlich- 
und-
      endlich-eigentlich-schon-sehr-einfache-fragen
  <2>  
http://piratecinema.org/textz/ 
rene_vienet_the_situationists_and_the_new_
      forms_of_action_against_politics_and_art.html
  <3> http://piratecinema.org/screenings/20050206
  <4> http://piratecinema.org/screenings/20041010
  <5> http://spiegelstudien.de/images/9-1997.jpg
  <6> http://spiegelstudien.de/images/35-2007.jpg
  <7> http://spiegelstudien.de/images/42-2004.jpg
  <8> http://spiegelstudien.de/images/32-2005.jpg
  <9> http://spiegelstudien.de/images/22-1997.jpg
<10>  
http://piratecinema.org/textz/rene_vienet_mao_arrets_sur_images.html

------------------------------------------------------------------------ 
--------

                                                                      ()
                                                                      ><
                                                             pirate  
cinema berlin
                                                              
www.piratecinema.org






More information about the videovortex mailing list